Samstag, 12. August 2023
Warum Lachen so gefährlich ist
Was ist so beunruhigend daran, wenn Menschen lachen? Lachen tötet die Furcht. Und ohne Furcht kann es keinen Glauben geben. Wer keine Furcht vor dem Teufel hat, der braucht keinen Gott mehr.
Umberto Eco aus "Der Name der Rose"

Mit dieser Aussage erklärt der blinde Mönch Jorge warum das Lachen so gefährlich ist und warum alles verboten werden muss, was mit dem Lachen zu tun hat. Und das ist auch der Grund, warum er Aristoteles‘ Werk „Die Kunst der Komödie als ein Instrument der Wahrheit“ versteckt hält und die Seiten mit Gift präpariert, um jeden Leser als Mitwisser ins Jenseits zu befördern.

Umbertos Buch spielt im Mittelalter und ich habe es vor vielen Jahrzehnten gelesen. Damals war mir nicht klar, wie zeitlos dieses Thema ist. Zuerst erinnerte ich mich an das Buch als im Jahr 2015 die gesamte Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo ermordet wurde. Die durch das Massaker verursachte Angst weitete sich sehr schnell auch außerhalb Frankreis aus: Hape Kerkeling und Jürgen von der Lippe sagen beide, dass sie öffentlich nicht zum Islam äußern werden – aus Angst. Dieter Nuhr erhielt Morddrohungen wegen eines Witzes über den Islam (ja, im Cabaret werden Witze gemacht).

Aber mittlerweile ist die in Ecos Werk thematisierte Angst vor dem Lachen längst nicht mehr nur in Verbindung mit dem fundamentalistischen Islam gegenwärtig, sondern inzwischen ist auch der ganz normale nicht-religiöse Alltag durchsetzt von der mit dem Lachen verbundenen Gefahr. Beispiele gibt es unzählige: Bully Herbigs „Der Schuh des Manitu“, Kramp-Karrenbauers Witz in einer Karnevalsrede über spezielle Toiletten für Diverse, Barbara Schönebergers Wortspiel über eine neue Bezeichnung für Z-Soße (ja, ich schreibe dieses Wort vorsichtshalber nicht mehr aus), Sketche von Anke Engelke oder anderen Comedians etc., in denen auch Minderheiten vorkommen.

Ja, aber ist es nicht eine positive Entwicklung, dass wir endlich bewusster werden und uns ständig gegenwärtig ist, wie benachteiligt Minderheiten sind? Es ist doch toll, dass wir nur noch dann lachen, wenn es eindeutig und ausschließlich Mehrheiten betrifft.

Es gibt und gab immer Grenzen, wenn es um Witze geht. Lachen über das Leiden anderer ist nicht witzig, sondern Verletzung und Häme. Das Problem liegt aber eben genau darin, zu bestimmen bei wem gelacht werden darf und bei wem nicht. Es hat niemanden sonderlich gestört, dass der Reporter Deniz Yücel sich über den Schlaganfall von Thilo Sarrazin lustig gemacht hat (ich bin KEIN Sarrazin-Fan) oder vor vielen Jahren Ingo Appelt einen Witz über das tragische Unglück eines russischen U-Boots machte. Man darf sich auch selbstverständlich über deutsche Dialekte lustig machen und sie imitieren, aber genauso selbstverständlich darf man dies auf keinen Fall mit Dialekten anderer Nationalitäten. Wobei auch hier wiederum niemand Anstoß daran nehmen wird, wenn es sich „nur“ um einen amerikanischen oder skandinavischer Dialekt handelt. Selbst der Comedian Kayar Yanar hat in einer Show zugegeben, dass er mittlerweile Angst hat Witze zu machen.

Das Ganze ist also viel komplizierter als es vorerst scheint. Was unterm Strich festzuhalten gilt, ist der Umstand, dass Lachen instrumentalisiert wird. „Wer hat wann wo über wen gelacht? Wer muss wegen seines Lachens bestraft werden? Wer darf für sich in Anspruch nehmen, einer Minderheit anzugehören?".

Umberto Ecos Jorge war vielleicht ein Prophet, was die Gefahr des Lachens angeht. Aber eben jenes Lachen bleibt im Hals stecken, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie Ecos Roman endet – nämlich mit dem Verbrennen der Bibliothek und deren unschätzbaren literarischen Zeugnissen.



Mittwoch, 9. Februar 2022
Opferranking - und weiter geht's
Welch merkwürdige Entwicklung das Opferranking nehmen kann, zeigt ein auf Whoopi Goldberg bezogener Artikel von Tsvi Sadan in "israel heute", in dem es um die Definition des Holocaust geht. Sadan lehnt die Definition des Holocaust-Gedenktags als Gedenken, das neben den Juden auch andere Minderheiten wie "Invaliden, Homosexuelle, Zigeuner, Christen usw." zu den Opfern zählt, ab. Dies sei nicht die Weise, wie Israel des Holocausts gedenkt. Seiner Ansicht nach hat eine Miteinbeziehung anderer Minderheiten dazu geführt, dass alles, was mit dem Holocaust zu tun hat, bedeutungslos wurde, so dass nun ein "Nazi" ein Jude sein kann, der in Hebron lebt, und ein "Jude" ein muslimischer Gefangener, der im "Konzentrationslager" Guantanamo Bay eingesperrt ist. Hierfür sieht er auch Hannah Arendts Theorie (Die Banalität des Bösen) mitverantwortlich, die er als eine Trivialisierung des Holocaust einstuft.

Hierzu könnte man sehr viel sagen und insbesondere das Werk Hannah Arendts ist zu komplex, um hier kurz abgehandelt zu werden. Tsvi Sadan steht mit seiner Einschätzung auch nicht allein da, auch der Schriftsteller Eli Wiesel forderte beim Gedenken an den Holocaust eine ausschließliche Konzentration auf Juden.

Wofür steht das befremdliche Gerangel um die Frage nach dem Opferstatus? Selbstverständlich ist der Holocaust aus jüdischer Sicht eine Tragödie für das jüdische Volk. Und es ist wichtig, diese Tragödie niemals in Vergessenheit geraten zu lassen. Aber für Behinderte, Roma, Sinti, Zeugen Jehovas, Homosexuelle stellte der Holocaust auch eine Tragödie dar. Wieso wird alles bedeutungslos, was mit dem Holocaust zu tun hat, nur weil auch andere Opfer der Tragödie wurden? Leitet sich Bedeutung erst aus alleiniger Opferschaft ab?

Was bei diesem Streit deutlich wird, ist der erschreckende Einfluss der Identitätspolitik. Die Zeit des großen Ideals von Gleichheit und universeller Solidarität ist vorbei, da es eben nicht mehr um jene großen Ideale geht, sondern um Abgrenzung und Kampf. Gegner statt Verbündete lautet die Devise. Ich glaube allerdings, dass dies im Grunde schon immer so war, aber erst jetzt sichtbar wird. Die Sichtbarkeit entsteht durch eine Entwicklung, in der es gar nicht mehr vorrangig um die Verbesserung der Situation von Minderheiten geht, sondern um einen schon pathologisch anmutenden Eifer, anderen Rassismus oder Sexismus nachzuweisen. Ähnlich wie in der Mc Carthy-Ära, in der jeder nachweisen musste, kein Kommunist zu sein. Oder aber auch in der Ära des Sozialismus, in der man wiederum das Gegenteil beweisen musste - nämlich kommunistische Linientreue. Und was eignet sich hierfür besser als der Hinweis auf die mangelnde Linientreue oder aber auf den vermeintlichen Rassismus anderer? Und dieser abstruse Eifer hat sich jetzt auf den Begriff des Opfers ausgeweitet, denn auch hier geht jetzt alles um den Nachweis der Zugehörigkeit zur Gruppe der Opfer. Opfer sind zwar viele, aber manche anscheinend mehr und andere weniger. Und darauf scheint es anzukommen.



Montag, 7. Februar 2022
Opferranking
"Im Holocaust geht es nicht um Rassismus, sondern um die Unmenschlichkeit des Menschen gegen den Menschen - das sind zwei weiße Gruppen von Menschen (these are two white groups of people)".

Diese in einer Fernsehdiskussion gemachte Aussage Whoopi Goldbergs hat zu einem Eklat geführt, der - wie sollte es anders sein - mit ihrer (vorerst befristeten) Verbannung aus den öffentlichen Medien verbunden ist. Wobei geht es hier eigentlich? Auf den ersten Blick geht es um die unselige Cancel Culture, die erbarmungslos jeden, der gegen Political Correctness zu verstoßen scheint, aus der Gemeinschaft ausschließt und eine Diskussion strikt unterbindet. Der zweite Blick allerdings offenbart den erbärmlichen Umgang mit dem Begriff des Opfers. Es geht nicht mehr um die Lösung gesellschaftlicher Missstände, sondern nur um deren Plakatierung. Polarisierung statt Solidarität. Die Folge ist ein groteskes Opferranking, das an Absurdität nicht zu überbieten ist.

Erst einmal die Fakten:

Der Begriff Holocaust steht für Katastrophe und Zerstörung. Zu den Opfern dieser Vernichtung gehörten auch Behinderte, Geistliche beider Konfessionen, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Mitglieder oppositioneller Parteien und sogenannte "Asoziale". Die Verfolgung und Ermordung dieser Menschen ist demnach keine alleinige Folge von Rassenideologien, sondern von ebenso menschenverachtenden Kategorien wie Volksfeinde, Volksschädlinge, unwertes Leben. Juden wurden hingegen ausschließlich verfolgt aufgrund einer abstrusen, menschenverachtenden pseudowissenschaftlichen Ideologie der Einteilung in Herrenrasse und Untermenschen. Hierzu gab es nachweislich ganze Kataloge von vermeintlichen Rassemerkmalen in denen Nasenformen, Haarstruktur, Augenfarbe etc. akribisch aufgelistet wurden.

Fazit: Zum einen gehören zu den Opfern des Holocaust nicht nur Menschen, die aufgrund ihrer vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer Rasse vernichtet wurden. Zum anderen ist der Holocaust dennoch untrennbar mit Rassismus verbunden.

Bei dem ganzen Vorfall stellen sich zwei spannende Fragen: Warum war für Whoopi Goldberg die Betonung wichtig, im Holocaust ginge es nicht um Rassismus, sondern um Unmenschlichkeit? Und warum löst dies eine Welle der Empörung aus, in der wiederum von jüdischer Seite der Vorwurf der Bagatellisierung des Holocaust erhoben wird?

Die Verwendung des Begriffs Rassismus ist anscheinend mit einem Exklusivrecht verbunden, so wie dies bei akademischen Titeln der Fall ist. Nur derjenige darf als Doktor bezeichnet werden, dem dieser Titel auch nachweislich nach den geltenden Kriterien zuerkannt wurde. Für Whoopi Goldberg steht fest, dass das Kriterium Rassismus nur dann zutrifft, wenn es um Schwarze als Opfer geht und die Täter weiß sind. Sie stellt allerdings das durch den Holocaust verursachte Leiden weder in Frage noch bagatellisiert sie es. Aber sie betont den Unterschied zwischen rassistisch und unmenschlich. Ist Rassismus und Unmenschlichkeit denn nicht das Gleiche? Fühlt sie als Schwarze ihrerseits den Begriff des Rassismus geschmälert, wenn dieser nicht nur Schwarze betreffen kann?

Aber die Reaktion der Öffentlichkeit macht ähnliche Bedenken deutlich. Es wird als Angriff auf die Juden gewertet, dass die Schrecken des Holocaust nicht als Folge des Rassismus, sondern als Folge von Unmenschlichkeit eingestuft werden. Ist Unmenschlichkeit denn weniger schlimm als Rassismus? Wird das Leiden der Juden geschmälert, wenn die Ursache nicht in Rassismus, sondern in Unmenschlichkeit gesehen wird? Muss jemand wegen so einer Aussage tatsächlich seinen Job (sogar den jüdischen Namen!!) verlieren und sollte möglichst nie wieder in der Öffentlichkeit auftreten dürfen?

Fakt ist, dass auch Menschen mit weißer Haut und hellem Haar Opfer von Rassismus werden können, wenn die zugrundeliegende Rasseideologie die entsprechenden fragwürdigen Kriterien (z.B. Abstammung, Zugehörigkeit) beinhaltet. Fakt ist, dass der Holocaust in jeder Hinsicht eine Bankrotterklärung der Menschlichkeit und ein Rückfall in tiefste Abgründe der Barbarei darstellt.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass der Begriff des Rassismus dringend neu definiert werden muss. Probleme lassen sich nur durch Dialog lösen und nicht durch Canceln. Was ist nur passiert, dass die Kultur des Dialogs verschwunden und der Reaktion des öffentlichen Rachefeldzugs gewichen ist? Anzeigen, anprangern, ausgrenzen, strafen - fällt uns wirklich nichts anderes mehr ein? Spaltung und Abgrenzung als Weg zum friedlichen Zusammenleben? Aber das ist wahrscheinlich genau der Punkt, die meisten Menschen scheinen weitaus mehr Interesse am Kampf gegeneinander als am Kampf miteinander zu haben. Neu ist das nicht.

Ich persönlich werde mich nicht am Opferranking beteiligen. Es geht nicht um das, was Menschen voneinander trennt, sondern um die gemeinsame Erfahrung der Unmenschlichkeit. Identitätspolitik führt genauso in eine Sackgasse wie das zwanghafte Bestreben, jeden, der eine abweichende oder kritische Ansicht vertritt, als Rassist, Antisemit oder Sexist zu brandmarken.