Sonntag, 26. Mai 2019
Die Qual der Wahl
Es ist fünf Minuten vor sechs und jetzt dürfte es zu spät sein um zur Wahl zu gehen. Eigentlich hatte ich mich von Anfang an entschieden, nicht zu wählen. Aber natürlich prasselte von allen Seiten das Argument auf mich ein, dass man nur durch die Wahlbezeiligung einen Rechtsruck verhindern könnte. Ich habe es trotzdem nicht getan. Und nein - ich habe kein schlechtes Gewissen.

Ein Europa, in dem Journalisten, Regisseure und Schriftsteller nur noch mit Polizeischutz leben können, wenn sie eine bestimmte Religion kritisieren und viele deswegen aufgehört haben, ihre Ansichten öffentlich zu äußern, hat sich von dem demokratischen Recht der Menungsfreiheit verabschiedet. Das genau ist der Rechtsruck, vor dem man sich ebenso fürchten sollte, wie vor Rechtsradikalen. Nur das man diesen Rechtsruck nicht benennen darf, ohne selbst in die rechte Ecke gedrängt zu werden.
Heute habe ich gelesen, dass jetzt auch Ralph Ghadban aufgrund von Morddrohungen Personenschutz erhalten muss. Wahrscheinlich ist dies 99 Prozent aller Deutschen egal, sofern die ihn überhaupt kennen.
Eben kommt mein Freund vom Wahllokal zurück und ruft mir zu, dass er seine Pflicht getan hat. Ich hab's nicht.



Mittwoch, 3. April 2019
Ein tödlicher Unfall, ein YouTube Video und der Fehler, Kommentare zu schreiben
Ja, ich weiß – es ist ein Fehler, auf einer Plattform wie YouTube Kommentare zu schreiben und ich hätte es besser wissen müssen. Worum geht es ? Um einen „Unfall“, der sich in der vergangenen Woche in Hamburg ereignet hat. Hier auszugsweise der Artikel des Abendblatts vom 26.03.2019:

"Schwerer Unfall auf der Köhlbrandbrücke. Der Tacho blieb bei 135 Kilometern pro Stunde stehen. (...)Auf der Köhlbrandbrücke in Hamburg endete ein mutmaßlich illegales Autorennen mit einem tödlichen Unfall: Bei einem mutmaßlichen Duell zweier Autofahrer hat ein 22-Jähriger am Montagabend seinen Bruder (24) totgefahren. Er starb als Beifahrer, nachdem ein von seinem jüngeren Bruder gesteuerter Audi A7 außer Kontrolle geraten war. Die Polizei stellte später fest, dass der Tacho bei Tempo 135 stehen geblieben war – in dem Moment, als das Fahrzeug mit zwei Lastern und der Betonbegrenzung der Brücke kollidierte. (…) Zeugen berichteten, dass die Fahrer Deja C. (22) und Jason C. (26) immer wieder die Motoren aufheulen ließen. „Beide sind außerdem durch mehrmalige Fahrstreifenwechsel mit überhöhter Geschwindigkeit und lautes Beschleunigen aufgefallen“, so die Polizei. Fünf Minuten später rasten die Wagen die Köhlbrandbrücke hinauf. Da verlor der 22-Jährige die Kontrolle über den Audi, der dann einen Laster touchierte, gegen die Seitenwand der Brücke und schließlich gegen einen zweiten Lastwagen geschleudert wurde. Dabei wurde die Beifahrerseite des Audi zerfetzt, der Bruder des Unfallfahrers in den Trümmern eingeklemmt.

(…) „Trotz intensivster rettungsdienstlicher Versorgung erlag der Patient an der Einsatzstelle seinen schweren Kopfverletzungen.“ Der Bruder des Toten blieb nach seiner Versorgung zunächst an der Unfallstelle. Er hatte einen Schock und leichtere Verletzungen erlitten. Auch den Fahrer des BMW trafen die Beamten am Unfallort an. Beide Männer, so stellte die Polizei fest, standen zum Unfallzeitpunkt weder unter Alkohol- noch Drogeneinfluss. Während Feuerwehrleute damit begannen, den Diesel abzustreuen, der aus dem beschädigten Tank eines der beteiligten Lastwagen lief, tauchten Angehörige auf – ein weiterer Bruder und die Eltern des Unfallopfers. Sie gaben zunächst den beteiligten Lkw-Fahrern die Schuld am Tod ihres Sohnes.

Als die Familie später in ihrer Wohnung (Wilhelmsburg) zurückkehrte, eskalierte die Situation abermals. Ein vierter Bruder verlor völlig die Kontrolle und bedrohte Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams, das die Familie betreuen wollte. Folge: Die Polizei rückte an, die Helfer brachen ihren Einsatz ab. "
https://www.abendblatt.de/hamburg/polizeimeldungen/article216749791

Ich: Das war kein tragischer Unfall, sondern ein gewissenloses und rücksichtsloses Autorennen. Also absolut einkalkuliert, dass Menschen getötet werden könnten. Normalerweise sind den Tätern die Opfer und deren Angehörige völlig egal und es wird sich bitter darüber beklagt, wenn es mehr als ein paar Monate Bewährungsstrafe gibt. Hier ist jetzt ausnahmsweise jemand aus der eigenen Sippe zu Tode gekommen und nur deswegen wird um das Opfer getrauert. Das ist nicht nur beschämend, sondern als gesellschaftliche Entwicklung schlichtweg eine Katastrophe. Auf einem anderen Kanal wurde in Bezug auf das tödliche Autorennen berichtet, dass die Familie die Lastwagenfahrer beschimpften. Das rundet dann das Bild vollends ab von einer Mentalität, die grundsätzlich die Anderen verantwortlich macht und der jegliche Eigenverantwortung fehlt. Wenn man hier von Schuld sprechen will, dann kommt man nicht umhin, die Verantwortung bei einer Familie zu sehen, die es offensichtlich versäumt hat, ihren Söhnen Sozialverhalten und Verantwortungsbewusstsein zu vermitteln.
Kommentator: warst du da um das zu sagen
Ich: Nein, aber wenn jemand mit dermaßen überhöhter Geschwindigkeit auf einer öffentlichen Straße fährt (Tachostand und zahlreiche Zeugenaussagen) muss man nicht dabei gewesen sein um sagen zu können, dass es sich bei nicht um einen tragischen Unfall handelt, sondern um ausgesprochene Verantwortungslosigkeit.
Kommentator. trotzdem warst du nicht da.
Ich: Staatsanwalt, Richter und Anwalt waren auch nicht dabei und werden sich trotzdem bei dem stattfindenden Prozess mit dem "Unfall" beschäftigen.
Kommentator: trotzdem warst du nicht da also hör auf zu reden
Ich: In einer Demokratie darf man aber nun mal reden. Wenn man damit ein Problem hat, hat man immer noch die Möglichkeit, sich in eine der vielen Diktaturen zu begeben.
Kommentator: war mein halb bruder also halts maul

Eigentlich muss man nicht mehr viel dazu schreiben, denn der Kommentar spricht für sich und bestätigt haargenau das, was ich zuvor beschrieben habe: eine Mentalität, die jeden Sachverhalt einzig und allein danach beurteilt, ob jemand involviert ist, der dem eigenen Clan angehört. Und da die Clanmitglieder grundsätzlich und ausnahmslos immer unschuldig sind, werden völlig unschuldige und selbst zu Schaden gekommene Beteiligte bepöbelt, werden Hilfe anbietende Kriseninterventionsteams bedroht und jemand, der sich sachlich mit dem Thema auseinandersetzt wird beschimpft. Es macht sprachlos, wie es Menschen fertig bringen, konsequent jegliche Eigenverantwortung abzulehnen und ausnahmslos andere für die eigenen Fehler verantwortlich zu machen.

Ja eigentlich muss man wirklich nicht mehr viel dazu schreiben. Außer, dass ich immer klarer erkenne, welch ungute Entwicklung unsere Gesellschaft nimmt. Schade.



Samstag, 19. Januar 2019
Ein Mord in meinem Wohnviertel und unheimliche Allianzen
Auch wenn ich mich mittlerweile an das steigende Ausmaß der Gewalt in meinem Wohnviertel gewöhnt habe, bin ich doch jedes Mal wieder geschockt, wenn hier wieder ein Mord geschieht. Ich hatte hier vor vier Jahren schon mal beschrieben, wie unwohl ich mich mittlerweile in meinem Viertel fühle. Vor drei Tagen ist hier schon wieder jemand ermordet worden, direkt in unserer Fußgängerzone, ein paar Meter entfernt von meiner Arbeitsstätte. Der achtundvierzigjährige J.wurde mit der Axt erschlagen, die Täter wurden noch nicht gefunden.

Bei dem Mordopfer handelt es sich um einen syrischen Apotheker, der schon sehr lange in Deutschland lebt, hier auch studiert hat und mit Frau und zwei Kindern hier lebt. Es gibt Spekulationen in jeder Hinsicht, denn J. war auch politisch aktiv und hat sich aktiv für syrische Flüchtlinge eingesetzt. Außerdem gehörten ihm auch zwei Apotheken und mehrere Immobilien hier im Süden Hamburgs und sein Ruf als Geschäftsmann wird in den Medien als „knallhart“ beschrieben.

Ich habe einen bestimmte Vermutung (nicht in Hinsicht auf die Person, sondern auf mögliche Hintergründe) und deswegen habe ich gestern ein wenig gegoogelt um Näheres zu erfahren. J. hat nicht nur einen syrischen Verein gegründet, sondern war auch Mitglied in einer Partei, die mir gar nicht bekannt war, die BIG, das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit. Dies ist eine sehr kleine Partei, die von Muslimen gegründet wurde und deren Zielsetzung darin besteht, sich für die Interessen von Muslimen einzusetzen und deren Intergration zu fördern. Interessant ist der Umstand, dass im Jahr 2014 ein Zusammenschluss erfolgte mit der ebenfalls sehr kleinen MDU, der Muslimischen Demokratischen Union. Zu dieser Gruppierung gehören wiederum die Betreiber des Muslim-Markt, eine dem Schiitentum nahestehende Internetplattform, die sich sowohl durch Antisemitismus (inklusive Leugnung des Holocaust) als auch durch offen geäußerte Skepsis gegenüber Demokratie auszeichnet.

Dabei stieß ich auf ein für mich völlig unfassbares Kuriosum: die Betreiber des Muslim Markts organisierten im Jahr 2012 eine Reise in den Iran zu Präsident Ahmadinedschad an der auch einige bekannte Rechtsextreme (!) teilnahmen*. Mich interessierte natürlich, um wen es sich dabei handelte und dabei stieß ich auf etwas ebenfalls äußerst Kurioses, nämlich auf jemanden, dessen politisches Spektrum von der Mitgliedschaft im Kommunistischen Bund und der Mitarbeit bei der Zeitschrift „konkret“, bis hin zur Tätigkeit als Chefredakteur der rechtspopulistischen Zeitschrift „Compact“ und Vorträgen bei der AFD reicht.

Ich wollte mich eigentlich nur darüber informieren, um was für eine Person es sich bei dem ermordeten J. handelt. Und dabei erfahre ich etwas über Kleinparteien mit äußerst fragwürdigen Kontakten und noch fragwürdigeren Aktivitäten. All dies ist nicht gerade vertrauenserweckend. Was für mich daran so erschreckend ist, ist die unheimliche Allianz zwischen Rechtsextremen und religiösen Fundamentalisten. Normalerweise sind die Grenzen abgesteckt: die AFD macht gegen Migration mobil, Migranten machen gegen die AFD mobil. Hier sind jedoch entgegen dieser sonst grundsätzlich strikt abgesteckten Grenzen Allianzen entstanden, die nicht mehr nachvollziehbar sind. Um das Ganze noch zu toppen kann man hier noch erwähnen, dass sich sogar auch Holocaustüberlebende an den vom Muslim-Markt veranstalteten israelfeindlichen Konferenzen beteiligen. Hierbei möchte ich ganz klar anmerken, dass es natürlich zu begrüßen ist, wenn gerade Holocaustüberlebende sich gegen die unmenschliche und gegen jedes Recht verstoßende israelische Siedlungspolitik positionieren. Aber muss dies wirklich Seite an Seite mit bekennenden Antisemiten geschehen, die noch dazu ganz unverhehlt gegen Demokratie zu Felde ziehen? Was passiert in einer Gesellschaft, in der politischer und religiöser Extremismus koalieren und Parteien entstehen – und seien sie noch so klein – die sich dieser Allianzen bedienen?

Ob der politische Hintergrund des Mordopfers überhaupt eine Rolle spielt ist fraglich, natürlich begibt sich jemand, der das Assad-Regime offen ablehnt, immer auch in Gefahr. Dass Immobiliengeschäfte sich durch Gewinnmaximierung und nicht durch Sozialverhalten auszeichnen ist nichts Neues. Aber dass politische oder geschäftliche Konflikte dadurch gelöst werden, jemanden mit der Axt zu Tode zu schlagen, stellt eine neue Dimension dar. Jedenfalls hier.

Bei all der Verwirrung, die diese Informationen bei mir ausgelöst haben, kristallisiert sich eines immer klarer heraus: ich möchte hier einfach nur weg!

*Unter anderem Jürgen Elsässer, Gerhard Wisnewski, Elias Davidsson, Karl Höffkes">