Hier fühle ich mich nicht mehr wohl
Einige Meter entfernt von meiner Wohnung befindet sich die Takwah-Moschee, die laut Erkenntnissen des Verfassungsschutzes als Anlaufpunkt dschihadistischer Salafisten gilt. Schon ein paarmal wurde die Moschee in den Nachrichten gezeigt und so kann es dann passieren, dass einem auf dem Weg zur Arbeit Reporter mit Mikrophonen begegnen, die auf der Suche nach Interviewpartnern für die geplante Sendung sind. Vor ein paar Monaten hätte man auch Pierre Vogel begegnen können, der in besagter Moschee gepredigt und auch ein paar Mal genächtigt hat. Und da die Moschee vom Verfassungsschutz überwacht wird, wird übrigens mit Sicherheit auch das eigene Auto überprüft, das mangels Parkmöglichkeiten zwangsläufig manchmal in der Nähe geparkt werden muss.

Aber die Takwah-Moschee ist nicht die einzige Moschee in meinem Bezirk, etwa 15 Gehminuten von meiner Wohnung entfernt befindet sich die Masjid-El-Iman-Mosche, die ebenfalls als Anlaufstelle fanatischer Dschihadisten angesehen wird. Ursprünglich wollten muslimische Interessenten den gesamten Häuserblock anmieten, um dort ausschließlich muslimische Geschäfte zu eröffnen, aber letztendlich wurde hierfür keine Zustimmung erteilt.

Es gibt noch weitere unschöne Schauplätze in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung. Wie zum Beispiel eine Straße, in der es vor einigen Monaten eine blutige Auseinandersetzung zwischen Albanern gab, die ein Todesopfer zur Folge hatte. Oder den Croqueladen, in dem es ebenfalls zu einem Mord kam, weil Afghanen eine Frage der Ehre mit einer Messerstecherei lösen wollten. Angrenzend an mein Wohnviertel liegt das Wohngebiet, in dem meine Schwester viele Jahre als Erzieherin arbeitete und in dem auf offener Straße vor den Augen von Kindern eine junge Kurdin von ihrem Bruder ermordet wurde, weil sie sich ihren Mann selbst aussuchen wollte. Auch in der Nähe der Wohnung meiner Nichte am südlichen Stadtrand Hamburgs kam es zu schon zu einer Schießerei unter Albanern, bei der der Vaters eines Mitschülers ihres Sohnes erschossen wurde. Und dann ist da noch der Bahnhof, den ich jeden Tag passiere, vor dem vor fünf Jahren ein Mann wegen 20 Cents von zwei Jugendlichen totgeprügelt wurde. Mittlerweile ist das Ausmaß der Gewalt so groß, dass unser ansonsten völlig belangloser Stadtteil jetzt sogar das Interesse der Presse geweckt hat. Vor kurzem prangte auf dem Titelblatt meiner Tageszeitung ein Foto meines Wohnorts, das tituliert wurde mit „Hamburgs härtestes Viertel“.

Mein Bezirk hat allerdings schon im Jahr 2001 traurige Berühmtheit erlangt, da dort Muhammed Atta & Co lebten, bevor sie Flugzeuge in das World-Trade-Center lenkten. Die Marienstraße, in der die Salafisten wohnten, war eine Querstraße zu meiner früheren Wohnung. In den Tagen nach der Katastrophe war an manche Häuserwände „Al Kaida“ gesprayt worden.

Ungefähr 14 Jahre lang habe ich im angrenzenden Bezirk Hamburg-Wilhelmsburg gearbeitet. Da ich kein Auto fahre, benutzte ich die öffentlichen Verkehrsmittel. Man bekommt wohl kaum einen besseren Einblick in die Mentalität einer Gesellschaft, als beim Fahren in öffentlichen Verkehrsmittel. Im Urlaub profitiere ich immer ungemein davon - Bemo fahren auf Bali, Jeepneys auf den Philippinen oder Überlandbusse auf Sumatra sind unvergessliche Erlebnisse. Und unvergesslich sind mir auch die Fahrten im Citybus Nr. 13 oder in der S-3 nach Wilhelmsburg. Allerdings nicht im positiven Sinn. Ausdrücke wie „Hurensohn, Schlampe, ich ficke deine Mutter “ – gehörten zu meiner regelmäßigen Beschallung.

Ich wohne seit meinem Auszug aus der elterlichen Wohnung im Alter von 15 Jahren bis auf eine kurze Unterbrechung im Süden Hamburgs. Ein Viertel, das immer schon das Stiefkind unter den Hamburger Bezirken war und das nur diejenigen mögen, die dort schon seit ihrer Kindheit oder Jugend wohnen. Ein Arbeiterbezirk mit vielen Altbauten, die noch bis in die späten 80er oftmals über keine Badezimmer verfügten und deren Toiletten sich im Treppenhaus befanden. Arbeiter, Studenten, alte Menschen, Ausländer der ersten Generation – Leute eben, die nicht das Geld für teure Wohnungen hatten. Mir hat’s gefallen.

Jetzt gefällt es mir nicht mehr. Ich hänge zwar sehr an meiner kleinen Dachgeschosswohnung, in der ich nun schon so lange wohne. Aber trotzdem möchte ich nur noch eins – weg von hier.