Kann nur ein Kompromiss faul sein oder gibt es auch faule Kompromisslosigkeit?
Was ist denn nun besser – um des lieben Friedens Willen einen Kompromiss schließen oder kompromisslos seine Ansicht vertreten?

Es gibt viele Formen von Kompromissen, wie zum Beispiel die Einigung auf einen Mittelwert. Auch wenn dann wahrscheinlich beide Parteien nicht auf ihre Kosten kommen, so ist dennoch ein Miteinander möglich. Oder es gibt die Kompromisse, die darin bestehen, sich abzuwechseln im Nachgeben. Als faulen Kompromiss empfinde ich die Form der Kommunikation, in der jemand sofort seine Ansicht und seine Wünsche aufgibt, damit der Friede gewahrt bleibt. Faul an dem Ganzen ist dabei das nur scheinbar Friedliche.

Aber bei völlig konträrer Meinung gibt es oftmals keinen Kompromiss. Es gibt nur die Wahl zwischen Nachgeben und Entzweiung. Oder anders ausgedrückt: die Wahl zwischen Klappe halten und auf den Tisch hauen. Wobei letzteres dann entweder darin mündet, dass der andere nachgibt oder aber darin, dass er dies eben nicht tut und man sich dadurch zwangsläufig entzweit.

Ich bin erschreckt darüber, wie schnell menschliche Beziehungen in die Brüche gehen, wenn man kompromisslos ist. Will man sich selbst treu bleiben, muss man befürchten, irgendwann völlig allein dazustehen. Während im Streit immerhin noch ein Gegenüber vorhanden ist und somit quasi etwas Verbindendes darstellt, zieht die Entzweiung dann einen Schlussstrich unter die Beziehung. Den erlangten Frieden muss man dann allein genießen.

Es stimmt zutiefst pessimistisch, dass man allein durch die Beibehaltung seiner Meinung den Bruch einer Beziehung riskiert. Irgendetwas ist daran genauso faul, wie an den vielen scheinheiligen Kompromissen. Nicht „faul“ im Sinne von marode oder unecht. Eher „faul“ im Sinne eines Armutszeugnisses für das Zusammenleben. Kompromisslosigkeit mit der Konsequenz der Entzweiung macht deutlich, dass freundschaftliche oder doch zumindest friedliche Beziehungen im Grunde nie eine wirkliche Tragfähigkeit besaßen.

Es bleibt die philosophische Frage, was besser ist. Sich selbst treu zu bleiben und nicht jede von anderen erhobene Erwartung zu erfüllen oder aber sich selbst zurückzunehmen, damit Beziehungen erhalten bleiben. „Allein oder Miteinander“ könnte man die Frage auf einen Kurzformel bringen.




Gibt es da nur entweder oder? Ich empfinde das als eine Dynamik, die sich je nach Situation entwickelt.

Natürlich gibt es chronische Ja-Sager - über solche haben wir es ja hier bei Dir auch nicht zum ersten Mal. Mir ist dieser Menschenschlag auch nicht sonderlich sympathisch, zumal es auch oft genau diese Sorte Mensch ist, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit dann ausgiebig darüber jammert, wie schlecht er es doch hat und dass nie jemand ihn und seine Vorschläge und Bedürfnisse wirklich berücksichtigt. Sich für die Belange anderer gleichwie für seine eigenen einzusetzen ist eine Fähigkeit, die durchaus Respekt verdient.

Wenn mit dem Eingehen von Kompromissen Selbstverlust verbunden ist, dann sind die Kompromisse auf jeden Fall faul. Es ist eine wichtige Aufgabe, sich für sich selbst zuständig zu fühlen und sich angemessen um sich selbst zu kümmern. Kompromisslosigkeit sehe ich aber nicht zwangsläufig als positive Eigenschaft und als Zeichen von Authentizität. Sie kann auch ein Zeichen großer Selbstunsicherheit und Verbissenheit sein. Rigorosität und innere Starre sind im menschlichen Zusammenleben ebenso wenig förderlich wie ein krummes bis nicht vorhandenes Rückgrat.

Letztlich muss sich jeder selbst fragen, ob und warum er einen Selbstverlust fürchtet, wenn er sich ein Stück weit anderen anpasst und damit einen Kompromiss eingeht. Wenn das deutliche Bekunden der eigenen Meinung einsam macht (wovon ich bei weitem nicht überzeugt bin, aber das ist wieder ein anderes Kapitel), dann muss der Einzelne sich überlegen, wie er gewichten möchte. Bedeutet die Gesellschaft und Gemeinsamkeit mit anderen so viel, dass ich deshalb die eigene Meinung und Position zum Teil oder ganz drangeben kann? Oder ist es eher die Furcht vor Nonkonformität und damit entzogener Zuneigung und Anerkennung, die mich treibt? Kann ich allein bestehen und einstehen für das, was ich sage, oder bin ich doch eher angewiesen auf Bestätigung durch außen? Und umgekehrt: Ist es vielleicht die Furcht vor dem Vereinnahmtwerden und davor, zu kurz zu kommen, die mich steif und fest auf meiner Meinung beharren lässt? Brauche ich etwas zum Anklammern und bin ich der Ansicht, das nur in mir, nicht in anderen finden zu können und zu dürfen?

Ich glaube, die meisten Menschen sind weder nur das eine noch nur das andere. Zusammenleben mit anderen basiert nicht zuletzt auf der Fähigkeit zu Kompromissen, und wer einen solchen eingeht, verliert nicht nur (vielleicht seine Ideallösung oder das Gefühl, hundertprozentig im Recht zu sein), sondern er gewinnt auch (den Zusammenhalt und die Gemeinschaft mit anderen, deren Anerkennung, Fortkommen in der Sache, Bewegung, Entwicklungspotential). Wer ausschließlich auf seiner eigenen Position beharrt, vergibt damit die Chance, sich zu ändern. Nicht zuletzt finde ich das Sprichwort (trotz seiner Kalenderspruch-Qualitäten) trefflich: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Die Risiko des Selbstverlusts steigt in meinen Augen auch um so mehr, je unbeweglicher ich an dem festhalte, von dem ich glaube, dass es mich definiert.

Ein hartes Stück Arbeit
Mit Sicherheit gibt es nicht nur Entweder – Oder. Aber irgendwie kann es manchmal leicht passieren, dass man in diese unseligen Extreme reinrutscht. Ich glaube, dass sich ein fauler Kompromiss erschreckend plötzlich in das andere Extrem einer rigorosen starren Kompromisslosigkeit wandeln kann. Wenn man zum Beispiel endlos lange etwas akzeptiert, was einem aber im Innersten völlig widerstrebt, dann ist die Chance groß, dass die Kompromissbereitschaft irgendwann überstrapaziert wird. Mir passiert dies leider öfter als mir lieb ist. Es ist alles andere als einfach, in Konfliktsituationen alles souverän und gelassen zu regeln. Und oftmals scheitert es daran, dass sich Menschen schwer tun mit der Auseinandersetzung mit Kritik. Ohne Auseinandersetzung mit Kritik können Kompromisse nur faul sein. Da wird zum Beispiel eine bestimmte, klar umrissene Verhaltensweise kritisiert und der Kritisierte beschäftigt sich nicht die Bohne mit dem Inhalt der Kritik, sondern sieht dies sofort als Mobbing an. Mobben ist aber genau das Gegenteil von Kritik, denn Mobben ist eben gerade die nicht offene Auseinandersetzung, sondern das Ausschließen von jemanden oder das Verbünden gegen jemanden.

Im sozialen Miteinander kommt man nicht umhin, Kompromisse zu machen und dies ist leider eine höchst komplizierte und heikle Gradwanderung. Ich persönlich kann solange die Eigenheiten und negativen Eigenschaften von jemandem akzeptieren, wie derjenige ebenfalls bereit ist, mich genauso zu akzeptieren. In dem Moment, wo dies nicht der Fall ist, bricht meine Kompromissbereitschaft zusammen. Dies ist ebenso der Fall, wenn jemand, dem ich keine Vorschriften mache, sich anmaßt, mir Vorschriften zu machen.

Ich glaube, dass es immer dann zu konstruktiven Kompromissen kommt, wenn die gegenseitigen Kritikpunkte und die unterschiedlichen Ansichten offen angesprochen werden. Dabei kommt es gar nicht darauf an, dass jemand jegliche Kritik anderer als berechtigt ansieht, das wäre reiner Konformismus. Aber es kommt darauf an, dass man unseliges Projizieren vermeidet. Projizieren verhindert, dass man überhaupt erfasst, worum es dem anderen inhaltlich eigentlich geht. Und man muss – auch das ist schwer – den anderen in seinen Ansichten und Bedürfnissen ernst nehmen.

Ein Paradebeispiel ist der äußerst nervige Streit um Hausarbeit. Es gibt bei fast allen Menschen unterschiedliche Toleranzgrenzen gegenüber Dreck und Unordnung. Was für den einen völlig normal ist, ist für den anderen unerträglich. Was mich auf die Palme bringt, ist das Argument: „Das ist doch nicht so wichtig“ das dann oftmals darin gipfelt, dass demjenigen, der eine geringere Schmerzgrenze gegenüber Schmutz hat, mit dem Argument der Kleinbürgerlichkeit und der falschen Prioritäten jegliches Recht auf seine Wünsche abgesprochen wird.

Kompromisse kann man nur machen, wenn man die eigenen Schwachpunkte akzeptiert und mit den Schwachpunkten anderer respektvoll umgeht, womit wir uns aber alle schwertun. Mir fällt es außerordentlich schwer, mich gegenüber Menschen respektvoll zu verhalten, die mich respektlos behandeln. Ich schlage dann mit den gleichen Mitteln zurück. Ein hartes Stück Arbeit, daran etwas zu ändern.