Er war immer gut zu den Kindern – das Eva Braun-Syndrom
Wenn Medien im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen auf den familiären Hintergrund der Täter eingehen, kommt es oftmals zu einem sonderbaren Phänomen. Auch bei den scheußlichsten Greueltaten wie Mord, Raub, schwerer Körperverletzung, Misshandlung oder Missbrauch führen die Täter nicht selten ein ganz normales bürgerliches Leben mit Ehefrau und Kindern. Und in den polizeilichen Verhören darauf angesprochen, ob sie denn nie etwas von dem Doppelleben des Ehemannes bemerkt hätten, äußern eben diese Ehefrauen oftmals den denkwürdigen Satz „Er war ein guter Familienvater und er war immer gut zu den Kindern“.

Ist es wirklich möglich, jahrelang Seite an Seite mit einem Monster zu leben, ohne jemals zu bemerken, was sich außerhalb der Familienidylle abspielt? Anscheinend ja. Und das macht nachdenklich. Was sind das für Frauen, die so wenig von ihrem Mann wissen, dass sie später in einer merkwürdigen Mischung aus Hilflosigkeit und Trotz keine andere Erklärung für ihr Nichtwissen abgeben als die des „Er war immer gut zu den Kindern“?

Ich glaube, dass es sich bei diesen Frauen um einen ganz bestimmten Typus handelt. Und das Phänomen, das diesem Typus zugrunde liegt, nenne ich das Eva Braun-Syndrom. Benannt nach einer Frau, die mit einer bemerkenswerten Fähigkeit des Wegschauens ausgestattet war. Eine Frau, für die die Welt außerhalb des Privaten und Persönlichen nicht zu existieren schien. Wäre Eva Braun eine unversöhnliche Judenhasserin oder eine glühende Vaterlandsverteidigerin gewesen, würde die Beziehung zu Hitler noch eine gewisse Logik enthalten haben. Aber dem war nicht so, sondern vielmehr war für sie die große Liebe verbunden mit einem ausgesprochenen Desinteresse für alles, was sich außerhalb der Beziehung abspielte.

Betrachtet man die vielen Fotos und Filme von Eva Braun, dann scheint die damalige Zeit aus fröhlichen Badeausflügen und lustigen Nachmittagen auf der Sonnenterrasse bestanden zu haben. In einer Zeit, in der Angst und Schrecken herrschte, gab es abseits von Konzentrationslagern und Schlachtfeldern eine kleine Oase des Glücks und der Zufriedenheit, in der fröhlich vor der Kamera herumgeflaxt wurde.

Hätte Eva Braun sich nicht umgebracht und wäre den Alliierten lebend in die Hände gefallen, was hätte sie wohl gesagt, wenn man sie gefragt hätte, ob sie von all den Greueltaten nichts gewusst hat? Wahrscheinlich hätte sie sich, ähnlich wie die Frauen von Gewaltverbrechern, auch hilflos und trotzig darauf berufen, dass Hitler sie immer gut und zuvorkommend behandelt hätte.

Was mag in den Köpfen dieser Frauen vorgehen, für die die Liebe zu einem Mann gleichbedeutend ist mit der Erteilung einer rigorosen Absolution jeglichen Handelns? Diese Frauen, die in ihrer kleinen heilen Welt mit ihren Kindern Plätzchen backen und Ostereier bemalen, während die Ehemänner über die Eltern anderer Kinder Leid und Unheil bringen? Frauen, die streng darauf achten, dass die eigenen Kinder regelmäßig zum Klavier- und Sprachunterricht gehen und die gewissenhaft die Schularbeiten und die tägliche Körperpflege kontrollieren. Diese Frauen, deren wichtigstes Ziel es ist, ihren Kindern ein kuscheliges Zuhause zu bieten. Bleibt vor lauter Plätzchenbacken und Vokabelabhören nicht genug Zeit, um zu bemerken, dass der fürsorgliche Ehemann anderen Menschen das Leben zerstört?

Die Problematik des Ausblendens und Wegschauens ist eine universelle, die sich nicht nur auf die großen Verbrechen und Tragödien erstreckt. Auch in der ganz normalen Welt, in der Menschen sich entscheiden, ob sie sich sozial gegenüber ihren Mitmenschen verhalten wollen, oder aber ob sie auf Kosten anderer leben wollen, muss man sich zwischen Wegsehen und Hinsehen entscheiden und damit die Wahl für oder gegen ein soziales Miteinander treffen.

Das Eva Braun-Syndrom kann man interessanterweise sogar bei denjenigen Frauen beobachten, deren Ehemänner weder gute Familienväter noch gute Ehemänner sind. Das klingt paradox – ist es aber nicht. Denn hier werden an den Ehemann noch weniger Anforderungen gestellt. Es wird nicht nur ausgeblendet, was der Ehemann anderen antut, sondern das Ausblenden bezieht sich diesmal auch auf das eigene Ich und die eigenen Kinder. Egal, um was für ein Scheusal es sich handelt – es reicht aus, dass es sich bei diesem Scheusal um den Mann handelt, der der eigene ist. Als Dank für das große Glück, auserwählt worden zu sein, gibt es bedingungslose Loyalität bis zu Schmerzgrenze – und manchmal sogar weit darüber hinaus.

Und anders als Eva Braun kann es sich bei diesen Frauen sogar um Frauen handeln, die ein ausgeprägtes Sozialverhalten haben und die selbst weit davon entfernt sind, andere auszunutzen. Aber geht es um den eigenen Ehemann, dann verlieren alle moralischen und sozialen Normen plötzlich ihre Verbindlichkeit. Wo sich vorher vielleicht nur ein kleiner blinder Fleck im Gesichtsfeld befand, klafft jetzt ein rabenschwarzer Abgrund, in dem der gesunde Menschenverstand gemeinsam mit dem sozialen Gewissen spurlos verschwindet. Und selbst dann, wenn es noch nicht einmal den Hauch von einer guten und fürsorglichen Behandlung gibt, mit der man den Ehemann entschuldigen könnte, wird in vorbildlicher Nibelungentreue jegliche seiner Taten sofort entschuldigt.

Das Eva Braun-Syndrom gehört zu einer Welt, deren Grenze nur bis zur Haustür oder maximal bis zum Gartenzaun reicht. Selbst wenn sich hinter dieser Grenze alles in Schutt und Asche auflöst – Eva Braun und ihre Schwestern knipsen weiter fröhlich Fotos, backen eifrig Plätzchen und stärken ihrem Mann bei all seinem Tun unermüdlich und mit voller Kraft den Rücken.




Manchen Eva Brauns endet die Welt sogar an der eigenen Haut... Kommt mir bekannt vor, das alles. Danke für den treffenden Beitrag.

Vom Opportunismus zum Masochismus
Zuerst hatte ich ein wenig Zweifel, ob man alle diese unterschiedlichen Ausprägungen weiblichen Verhaltens noch in eine Kategorie zusammenfassen kann. Schließlich ist es ein erheblicher Unterschied, ob eine Frau und ihre Kinder durch ihren Mann gut versorgt werden und sie sich deswegen voll und ganz hinter ihn stellt, oder aber ob eine Frau diese Versorgungsleistung überhaupt nicht erhält und sie ihm trotzdem eisern den Rücken stärkt. Und es ist auch ein Unterschied, ob eine Frau Wertvorstellungen hat, zu denen grundsätzlich auch Sozialverhalten und ethische Vorstellungen gehören, oder ob einer Frau diese Dinge völlig gleichgültig sind.

Aber es gibt etwas, was allen diesen weiblichen Beziehungsmustern gemeinsam ist: das grundsätzliche und konsequente Ausblenden dessen, was nicht privat ist. Beziehung als Mikrokosmos völlig losgelöst von allen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Und dieses Beziehungsmuster reicht vom Opportunismus bis zum Masochismus. Oder stellt eine Mischung aus beiden dar.

Trotz der Tatsache, dass das Ausblenden alles Nicht-Privaten einigen Frauen ein Leben ohne jeden Mangel verschafft und anderen Frauen lediglich einen Platz an der Seite eines Mannes, bleibt eine wesentliche Gemeinsamkeit: die bedingungslose Nibelungentreue, die frei ist von jeglichen ethischen Grundsätzen.

Anspruchsdenken oder Genügsamkeit – beides findet seinen Platz in diesem kranken Beziehungsmuster, die dem Mann die Rolle des Akteurs zuweist und der Frau die der Statistin.

Leider weiß ich zu wenig über Eva Braun, aber schon zum oberflächlichen Wissen gehört ja, dass ihre private Beziehung zu Hitler sooo erfüllt nun auch wieder nicht war. Insofern finde ich Ihre Bezeichnung "Eva-Braun-Syndrom" sogar in doppelter Weise treffend: Schon in der privaten Beziehung üben diese Frauen das Sich-über-die-Abgründe-Hinweglügen ein, das dann für die Welt jenseits des Gartenzauns umso mehr gelten.

Ich würde es vielleicht noch spezifischer ein „Die-Abgründe-Ausblenden“ als ein „Sich-über-die-Abgründe-Hinweglügen“ bezeichnen. Ein Sich-Belügen hat nämlich immer auch so etwas wie einen inneren Konflikt zur Voraussetzung, der dann eben zu besagter Selbstlüge führen kann. Beim Eva-Braun-Syndrom kommt es aber oftmals gar nicht zu einem inneren Konflikt, denn weder wird die Existenz der eigenen Bedürfnisse wahrgenommen noch die Existenz all derer, denen der angebetete Mann Leid zufügt.

Ich habe just heute in der Zeitung den Kommentar eines Psychologen gelesen, der sich auf eine junge Frau bezog, die von ihrem Freund schwer misshandelt wurde und dann beim Prozess ihre Aussage und Anzeige zurückzog. Der Psychologe spricht davon, dass „manche Frauen die innere Not des Täters erkennen und helfen wollen“. Sozusagen ein Helfersyndrom, dass trotz (oder gerade?) der am eigenen Leib erfahrenen Misshandlung besteht. Die Bedürftigkeit des Mannes wichtiger nehmen als die eigene.

Mir fällt außerdem eine Frau aus dem persönlichen Umfeld ein, die mir bis in die frühen Morgenstunden ihr Leid über ihren Mann klagte. Eigentlich waren es pure Schauergeschichten, die ich mir da anhörte. Und mir klingt immer noch im Ohr, mit welchem Resümee besagte Frau dann abschloss: „Kannst du jetzt verstehen, warum ich diesen Mann lieben muss?“. Nein, konnte und kann ich nicht! Sicher, Liebe heißt, den anderen nicht nur um seiner Stärken, sondern auch um seiner Schwächen willen zu lieben und davor habe ich auch großen Respekt. Aber wenn man – selbst bei angestrengter Suche – überhaupt keine Stärken findet, dann fragt man sich, wieso sich eine Frau das antut.

Aber bei dem Eva-Braun-Syndrom geht es ja nicht um Frauen, die sich in schüchterne, von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Männer verlieben. Es geht vielmehr um Frauen, die sich gerade durch das dominante, Macht symbolisierende Verhalten eines Mannes magisch angezogen fühlen. Vielleicht ist es die Möglichkeit des Partizipierens an eben dieser – wenn auch oft nur auf wackeligen Boden stehenden – Macht, das diese Männer für manche Frauen so anziehend macht. Wenn eine Frau in ihrer Rolle als liebes nettes Mädchen gefangen ist (und auch gefangen bleiben möchte), dann kann ein dominantes Alphamännchen die vermeintlich ideale Ergänzung sein. Und zwangsläufig muss dann auch jegliches politische Bewusstsein konsequent ausgeblendet werden, weil dies immer auch ein Hinterfragen des Agierens des Partners außerhalb der Beziehung zur Folge hätte, welches dann wiederum die scheinbare Harmonie dieser Paare ins Wanken bringen könnte. Das Eva-Braun-Syndrom ist das Syndrom einer durch und durch unpolitischen Frau.

Ich habe viel über das Thema nachgedacht, auch ein bisschen gelesen und bin von Eva Braun bis zu Geli Raubal und zurück geschlittert.

Mir fiel ins Auge, dass die Frauen, die enger mit Hitler zu tun hatten, allesamt suizidal waren und den Suizid schließlich auch teilweise ausführten. Eva Braun tat dies schließlich auch. Während der Suizid von Geli Raubal nicht bis ins letzte Detail geklärt ist und zumindest fraglich ist, wie sie sich ihre gebrochene Nase holte und ob sie überhaupt in der Lage gewesen sein kann, sich selbst in die Brust zu schießen, ist doch bei Eva Braun klar, dass sie eine Person war, die in Hitlers vereinnahmendem Wesen zu hundert Prozent aufging. Ich habe gelesen, dass Hitler bis zum Schluss eine offizielle Ehe auch deshalb verweigerte, weil er sich auf diese Weise als lediger Mann und Ikone der Schwärmerei etlicher deutscher Frauen sicher sein konnte. Diese Schwärmerei, die an Starkult grenzt, hat sicher vor Eva Braun ebenso wenig Halt gemacht wie vor Geli Raubal.

Man darf glaube ich bei allem nicht vergessen, dass diese passive Haltung seinerzeit etwas typisch weibliches war, und dass weiblicher Widerstand gegen das Regime zumindest ein aufgeklärtes Elternhaus verlangte, das auch Mädchen die Freiheit vermittelte, selbst zu denken (wie beispielsweise im Falle von Sophie Scholl). Ich wage zu behaupten, dass dies im Deutschland des Dritten Reiches wenig verbreitet war. So wird es nicht schwer gewesen sein, sich dem Mann Hitler als übersteigerte Heilsfigur voll und ganz hinzugeben, wo doch so oder so die vollständige Hingabe an einen heilsbringenden Ehemann ein Teil des damaligen Rollenverständnisses war. Ich spreche da vom Mainstream, nicht von den trotz allem vorhandenen, selbständig denkenden und lebenden Frauen, die es eigentlich als Ausnahmen schon immer gab.

Auch nach 1945 hat sich ja an dieser grundsätzlichen Haltung nicht viel geändert, und die Trümmerfrauen, die sich noch um alles selbst kümmern mussten und irgendwie zusehen mussten, wie sie durchkamen, kehrten doch auch irgendwann wieder zurück zum bürgerlichen Lebensmodell, das ja dann auch die Maxime der 50er Jahre wurde.

In dem Kontext ist das Verhalten Eva Brauns nicht so ungewöhnlich. Wenn sich das eigene Wohlergehen (sowohl materieller als auch emotionaler Art) in der Hauptsache auf eine einzelne Person, den Ehemann richtet und damit die Abhängigkeit sehr groß ist, bleibt wenig Blick für andere übrig. Dass das so ist, habe ich - natürlich in anderem Maßstab - an meiner eigenen Mutter erlebt. Und natürlich geht es dabei nicht allein um das reine Auskommen, um Versorgtsein, sondern es geht durchaus auch um Prestige und Status. Die Frau eines großen Mannes zu sein war lange (viel zu lange) Zeit das Höchste, was eine Frau erreichen konnte. Zu einer Veränderung des Blickwinkels waren die meisten Frauen nicht in der Lage und manche sind es bis heute nicht. Mit einer Partnerschaft auf Augenhöhe, die auch das Anzweifeln der Handlungen des Anderen sowie Auseinandersetzungen mit einschließt, hat das aber auch überhaupt nichts zu tun.

Solche Frauen machen sich immer zu Mittäterinnen, und ich denke da nicht nur an die Frauen der Diktatoren. Ich denke z.B. auch an die Frau von Josef Fritzl. Die Ausblendung und Verdrängung von Unstimmigkeiten ist so gründlich, dass man tatsächlich glauben kann, von nichts gewusst zu haben. Man löst die Person, auf die man angewiesen ist, von ihren Taten, um die Beziehung nicht in Frage stellen zu müssen.

Ich finde den Ansatz interessant, den der Psychologe beschreibt. Unter aller Tyrannei kann für nahestehende Personen durchaus eine Not des Betreffenden spürbar sein, auch wenn sie nicht erkannt und benannt wird. Was Hitler konkret für ein Verhältnis zu Frauen, zu Nähe und Beziehungen hatte, bleibt wohl für immer Spekulation. An der eigenartigen Beziehung zu Geli Raubal beispielsweise, deren Lebensentscheidungen er zu beeinflussen und zu kontrollieren suchte, lässt sich aber doch zumindest ablesen, dass es kein normales Verhältnis war. Es mag eine eigenartige Mischung aus Kontrollbedürfnis, Eifer- und Herrschsucht wie auch Furcht gewesen sein. Ich nehme an, dass es genügend Frauen gibt, die eine solch verdrehte Seele gewissermaßen in missionarischer Absicht verändern wollen und sich zu rücksichtlosen, kalten und tyrannischen Menschen hingezogen fühlen, zumal der legendäre Spruch von der ("weiblich"-selbstlosen) Liebe, die alles heilt, grassierte und noch grassiert wie eine Krankheit. Den anderen wieder ganz zu machen, das wurde und wird gern als Hauptaufgabe der Frauen betrachtet und als Rolle auch so tradiert, aller Emanzipation zum Trotz. Das lässt sich auch sehr schön an den Worten Deiner Freundin ablesen.

Ich denke, es gibt für vieles eine Erklärung. Ob die Eva Brauns dieser Welt es besser wissen müssten, weiß ich nicht. Während es manchen sicher an Bewusstsein und Klarheit über das eigene Verhalten mangelt, ist es bei manchen anderen sicher auch der Unwille, auf die Annehmlichkeiten und den mit diesem Mann verbundenen Ruhm zu verzichten. Möglicherweise lässt sich das am besten mit dem Begriff "bewusste Bewusstlosigkeit" umschreiben.

Zu Ende gedacht habe ich das auch noch nicht. Bin mir aber sicher, dass Dir dazu auch wieder eine Menge einfällt.

Ich glaube, dass die passive Haltung, von der Du sprichst, nicht nur seinerzeit etwas typisch Weibliches war. Es hat sich sicher heute sehr viel geändert, aber es gibt nach wie vor auch immer noch die Paarkonstellationen, in denen der Mann der Akteur ist und die Frau den mehr oder weniger stillen Part übernimmt. Die an Starkult grenzende Schwärmerei, die Du beschreibst, gibt es heute noch genauso. Man muss sich nur die Promipärchen ansehen, da gibt es massenhaft die Konstellation erfolgreicher (oftmals sehr viel älterer) Mann – junge Bewunderin. Der Ausspruch „Macht macht sexy“ trifft da vielleicht den Punkt. Eine Frau steigt auf durch ihre Beziehung, wird voll und ganz Teil von ihr. Der umgekehrte Fall ist eher selten, was auch an sprachlichen Wendungen sehr gut deutlich wird, beispielsweise kann man sich den Ausdruck „First Lady“ nur schwer als sein Pendant „First Gentleman“ vorstellen.

Die Situation der Trümmerfrauen, die sich ganz allein ohne Mann in einer in Schutt und Asche liegenden Welt durchgesetzt haben wird sehr gut deutlich in dem Buch und der Verfilmung „Deutschland, bleiche Mutter“ dargestellt. Frauen waren und sind in der Lage, sämtliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Männern zu übernehmen – wenn es sein muss. Wenn es aber nicht sein muss, dann kann unter Umständen wieder alles bei alten sein oder aber es gibt Revierkämpfe.

Jemand wie Hitler hätte nie eine unabhängige, intelligente, Paroli bietende Frau akzeptiert. Zwar war beispielsweise Magda Goebbels keine Duckmäuserin, aber sie hat Hitlers Autorität ohne Wenn und Aber akzeptiert. Wäre dies nicht so gewesen, dann wären die Fetzen geflogen und sie hätte sehr schnell ihren Posten als heimliche First Lady verloren.

Was mich an den Frauen, die auch heute noch am Eva-Braun-Syndrom leiden, so verblüfft, ist der Umstand, dass sie durchaus feste moralische Grundsätze haben können, diese aber dem Partner ohne mit der Wimper zu zucken untergeordnet werden. Da scheint es noch ein uraltes, archaisches Rollenbild zu geben, demzufolge dem Partner der Grundsatz des „Ich bin das Gesetz“ zugestanden wird. Da entwickeln sich Frauen, die ansonsten durchaus kritisch und kompromisslos sind, plötzlich zu kleinen netten Mädchen, die nur noch hilflos mit den Schultern zucken. Und wird der Partner von dritter Seite kritisiert, dann entwickeln sie wahre Löwenmutterinstinkte und verteidigen ihn mit allen Mitteln.

Apropos Löwenmutter – da fällt mir prompt die Mutter des unerträglichen Bushido ein. Ich gehe mal davon aus, dass diese sehr brav und bieder aussehende Dame niemals mit Drogen dealen würde. Als aber Sohnemann in finanziellen Schwierigkeiten war, lieht sie ihm – wie Sohnemann in einer Talkshow selbst erzählte – Geld, damit er ins Drogengeschäft einsteigen konnte. Moralische Grundsätze mögen vorhanden sein, Priorität haben sie leider nicht. Jedenfalls nicht, wenn es um die Interessen des geliebten Mannes (ob nun Sohn oder Partner) geht.

Ich nehme an, dass es genügend Frauen gibt, die eine solch verdrehte Seele gewissermaßen in missionarischer Absicht verändern wollen und sich zu rücksichtlosen, kalten und tyrannischen Menschen hingezogen fühlen… . Dabei fällt mir wieder das seltsame Phänomen ein, dass viele Schwerverbrecher im Knast Briefe von Verehrerinnen erhalten. Hierbei handelt es sich mitnichten um ebenfalls straffällig gewordene Frauen, sondern meist um ganz normale, bürgerlich lebende Frauen. In einer Mischung als Bewunderung und Mitleid wollen diese den in der Gesellschaft Gestrauchelten wieder auf den rechten Weg bringen und manchmal wird sogar im Knast geheiratet. Vielleicht erinnerst Du Dich noch an den Fall des sogenannten Heidemörders? Ich habe das eben nochmals gegoogelt, er ist anscheinend immer noch mit seiner früheren Therapeutin verheiratet.

Schwer zu sagen, was die Ursache für dieses Phänomen ist. Auf jeden Fall spielt ein ausgesprochenes Helfersyndrom eine Rolle, im Sinne von „Alle sehen in ihm nur das Monster, aber ich sehe den verzweifelten Menschen dahinter, der im Grunde Hilfe braucht“.

Übrigens handelt es sich bei der besagten von mir zitierten Frau nicht um eine Freundin. Nachdem ich einige Male stundenlang geduldig zugehört hatte und später ihre Beziehung endgültig in die Brüche ging, lernte sie einen neuen Mann kennen und es herrschte kein Bedarf mehr an Gesprächen mit mir. Als ich dann auch noch Kritik an dem Mann aus der früheren Beziehung äußerte, reagierte sie sehr empört – ohne sich allerdings im Gegenzug die Mühe zu machen, mir einmal zuzuhören. Eine Freundin von mir meinte, dass dies ein Paradebeispiel ist für den Typ Frau, dem jegliche Solidarität unter Frauen fehlt und der Frauen nur dazu braucht, um sich wieder aufrichten zu lassen, wenn die Paarbeziehung Probleme bereitet.

Wie dem auch sei. Ich bin heilfroh, dass es auch Frauen gibt, die keine lieben netten Mädchen sind, sondern die begriffen haben, dass die Mitgestaltung in der Gesellschaft genauso wichtig ist wie eine Beziehung. Frauen, die – wenn’ s sein muss – auch mal kräftig mit der Faust auf den Tisch hauen. Denen Lieben allein nicht ausreicht.

Ich teile Deine Auffassung, dass diese passive Haltung auch heute noch unter vielen Frauen verbreitet ist. Und das betrifft meiner Meinung nach nicht nur die Generationen meiner Eltern und Großeltern, es gibt auch genügend junge Frauen, die sich genau so verhalten. Feminismus und Emanzipation sind heute beinahe schon Schimpfworte und die Hinterfragung von vermeintlich natürlichen Rollenverteilungen ist leider zur Zeit nicht besonders en vogue. Im Gegenteil, ich sehe da deutlichste Rückschritte und habe den Eindruck, dass sich vor allem viele Frauen auch wieder an einer "natürlichen Ordnung" orientieren wollen, um sich nicht mit den Unwägbarkeiten auch im Bezug auf die eigene Identität und Position herumschlagen zu müssen. Es ist ja auch praktisch und bequem, nicht für sich selbst kämpfen zu müssen und sich ganz an Mann und Kindern auszurichten.

(Die Utopie von der "Madame President" erfüllte sich übrigens mal in einer sonst eher mäßigen amerikanischen Fernsehserie, und da wurde dann tatsächlich auch ihr Mann als "First Gentleman" bezeichnet. Ich fand die Darstellung durchaus gelungen und realistisch, sie gefiel mir. Dennoch ist das in der Realität wohl noch ein Weilchen hin. Bis dahin gibt's auch weiterhin mehrheitlich brave Carla Brunis, auch wenn selbige seit gestern nicht mehr das Amt der sarkozy'schen Rückenfreihalterin bekleidet...)

Mit Bushido und seiner Mutter habe ich mich nicht allzu sehr befasst. Aber was Du schilderst ist ein schönes Beispiel dafür, wie sehr sich viele Frauen über andere Personen definieren: Ihre Männer, ihre Kinder. Ich meine, wer kennt nicht diese Sätze? "Ich bin doch seine Mutter!" oder "Für mein Kind würde ich wirklich alles tun!" Das bedeutet, dass sie durchaus eine Position haben können, die aber im Zweifel dem Wohl von Mann oder Kind untergeordnet wird, weil sie ohne Mann oder Kind nicht sind. Die Person weicht der Rolle, und fiele die Rolle bzw. Funktion als Ehefrau und Mutter weg, dann stünde alles in Frage. Das ist allerdings keine reine Opferposition, es hat auch etwas mit Machtausübung zu tun, denn dem ganzen Mechanismus liegt die Annahme zugrunde, dass die betreffenden Personen unbedingt auf die Frau/Mutter angewiesen sind und sie brauchen. Ihre (vermeintliche oder tatsächliche) Bedürftigkeit bindet sie an die jeweilige Frau. Das deckt sich auch mit dem, was Du von den Knastfrauen schreibst. Wieder taucht hier der Mythos auf, dass man mit genügend "Liebe" den anderen zu einem besseren Menschen "machen" kann und dass am Ende der Lohn für diese Mühen in Form nicht enden wollender Dankbarkeit wartet. Es soll sogar Frauen geben, die das fordern. Viele.

Ich las, Eva Braun sei gegen den Willen Hitlers im März 1945 nach Berlin gekommen. Im Grunde ist sie also gewissermaßen ihrer Rolle hinterhergehechtet, obwohl er das gar nicht beantragt hat. Ich bezweifle, dass sie "für Deutschland" hätte sterben wollen, aber gemeinsam mit ihrem Dann-Mann in den Tod zu gehen, das lag offenbar und mit dem bekannten Ergebnis in Denkweite. Es ist also, wie Du auch schreibst, die Beziehung, nicht der Idealismus (sei er auch noch so verquast), der Eva antrieb. Zu einem Zeitpunkt, in dem die Gefahr bestand, dass sie ohne ihn als Definition ihrer selbst zurückbleiben würde, musste sie zwangsläufig (weil ihrer Funktion folgend) die gefährdete Nähe wieder herstellen. Das schloss schließlich den Suizid ein, was ich sehr, sehr aussagekräftig finde (und was mich bisweilen an die Verbrennung von Witwen in Indien erinnert).

Frauen, die – wenn’s sein muss – auch mal kräftig mit der Faust auf den Tisch hauen. Denen Lieben allein nicht ausreicht. - Ja, die gibt's, zum Glück. Wirkliche Liebe besteht halt nicht in der Aufopferung bis hin zur Selbstverleugnung - eine Mär, die sich viel zu hartnäckig hält. Wenn man nämlich so "liebt", dann sind alle anderen Menschen außer dem geliebten Objekt zweitrangig. Dann ist das eine nicht-teilbare Liebe, die man mehr als Egoismus bezeichnen kann, weil es ums Kriegen und Haben geht. Frauen, die selbst ganz sind und sich nicht über jemand anderen definieren müssen, können eben auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen. Die sehen auch andere. Hätte eine Eva Braun wirklich geliebt, dann hätte sie sich selbst geliebt und Mitgefühl für andere empfinden können, und dann hätte sie nicht das Maul gehalten.