Seelenverwandtschaften

Gestern sah ich den Film "Kirschblüten – Hanami". Ein stiller poetischer Film, in dem es um Verlust, Schmerz und Seelenverwandtschaft geht. Ein Mann, der den plötzlichen Tod seiner Frau nicht verkraftet und sich auf die Suche nach ihr macht, indem er ihrer Liebe zum Buthotanz nachspürt. Diese Liebe hatte er zu Lebzeiten seiner Frau nie wirklich ernst genommen, was er bereut und jetzt nachholen möchte.

In Tokio trifft er auf Yu, eine junge obdachlose Frau, deren Mutter verstorben ist und die ebenfalls sehr unter diesem Verlust leidet. Sie tritt durch einen Tanz wieder in Kontakt mit ihrer Mutter. Bei diesem Tanz tanzt Yu in traditioneller Kleidung mit einem kirschblütenfarbenen Telefon. Obwohl die sprachliche Verständigung schwierig ist, gibt es sofort ein unsichtbares Band zwischen den beiden.

Der Mann ist schon seit langem schwerkrank und es kommt, wie es kommen muß. Aber bevor er stirbt, gelingt es ihm, die Seele seiner geliebten Frau wiederzufinden, was ihn glücklich sterben läßt.

Ein Film über zwei verlorene und verletzte Seelen, die sich in ihrem Schmerz begegnen und verstehen. Und neben dieser Begegnung wirken alle anderen menschlichen Beziehungen merkwürdig dumpf und grob. Und man spürt, daß menschliche Beziehungen auch eine andere Dimension haben können, als die übliche. Der tiefe Respekt vor dem Schmerz des anderen läßt ahnen, was Seelenverwandtschaft bedeutet. Vielleicht ist es das, was mich an diesem Film verzaubert hat - die Darstellung einer Seelenverwandschaft. Zwei Menschen, die zwar von ihrer Außenwelt als verrückt angesehen werden, aber die in der Lage sind, gegenseitig ihre - alles andere als verrückte - Einzigartigkeit wahrzunehmen.

Heute habe ich mir Blumen gekauft. Und erst zuhause wurde mir bewußt, welche Blumen – rosarote Kirschblütenzweige.





Butoh
Zuvor hatte ich zwar von Butoh gehört, aber mich nicht weiter damit beschäftigt. In dem besagten Film sind zwei Tanzszenen, die aber höchst beeindruckend sind. Ungewöhnlich sind auch die Masken, die auf uns Europäer eher häßlich als schön wirken. Allerdings hat diese Häßlichkeit eine ihr eigene Ästhetik.

Butoh ist ein Tanztheater von meditativer Zartheit bis zur exzessiven Groteske. Es bedient sich zwar unterschiedlicher Tanz- und Ausdrucksformen, wie z. B. des Flamenco oder Capoeira, jedoch erst der ganze Tänzer mit seiner Seele, seinen Träumen, seinen Erinnerungen und seinem Körper entwickelt die Tanztechnik. Die Vorstellungskraft des Tänzers spielt dabei eine wesentliche Rolle, sein Körper wird von seinen Imaginationen bewegt und geführt – und entführt uns mit seinen Energien ins Labyrinth der eigenen Seele.

Teufelskreis Verletzungen
Als es vor ein paar Tagen nochmals den Film Kirschblüten-Hanami im Fernsehen gab, konnte ich nicht widerstehen und habe mir den Film erneut angesehen. Wenn man einen Film das zweite Mal ansieht, dann fällt so manches auf, was man beim ersten Mal nicht bemerkt hat.

Im Film wurde sehr gut dargestellt, wie Verletzungen von Generation zu Generation weitergegeben werden. In „Kirschblüten-Hanami“ wirft der Sohn seinem Vater aufs Heftigste vor, dass er sich nie Zeit für die Familie genommen hat und sich immer nur alles um dessen Arbeit drehte. Gleichzeitig ist dies auch die Situation, in die der um seine Frau trauernde Vater gerät, als er seinen Sohn besucht, denn auch der hat nicht die geringste Zeit, um sich um seinen Vater zu kümmern. Ähnlich ergeht es dem Vater auch mit der Tochter, die ihren Eltern den bitteren Vorwurf macht, überhaupt nichts von ihr zu wissen und die ihrerseits nicht das Geringste von den Gefühlen ihrer Eltern weiß.

Der Film gibt etwas wieder, was ich selbst seit langem auch beobachte – einen Teufelskreis aus eigenem Verletztsein, Vorwürfen und Verletzungen anderer. Dieser Teufelskreis wird noch deutlicher, wenn es bereits eine dritte Generation gibt und ersichtlich wird, wie sehr sich das Verhalten der Eltern und das Verhalten gegenüber den eigenen Kindern ähnelt.

Manche Menschen haben als Kind erheblich unter gefühlskalten Eltern gelitten und sind dann als Erwachsene oftmals genauso gefühlskalt gegenüber anderen. Oder die Kindheit war geprägt durch heftige und verletzende eheliche Auseinandersetzungen der Eltern, die sich später haargenauso in der eigenen Partnerschaft wiederholen.

Nicht immer äußert sich die Reproduktion einer Verhaltensweise in einem ähnlichem Verhalten, manchmal provoziert eine Erfahrung eine exakte Antihaltung. Wenn beispielsweise die Erfahrung gemacht wurde, dass der eigenen Person nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet wurde, gibt es die ungesunde Reaktion, später das eigene Kind zum totalen Mittelpunkt des eigenen Lebens zu machen, so dass ein Kind fast erdrückt wird.

Ob es sich um die haargenaue Wiederholung oder um eine starre Antihaltung handelt – beides stellt ein Verharren in erlernten Mustern der Kindheit dar. Obwohl es ein unermesslich großes Spektrum an Verhaltensweisen und Kommunikationsmustern gibt, wird meist nur das übernommen, was von den Eltern erlernt wurde. Niemand ist völlig frei davon. Und je heftiger die Vorwürfe sind, die gegen die Eltern erhoben werden, desto mehr ähnlicher sind sich oftmals Eltern und Kinder.

Der Film stellt auf schon fast schmerzhafte Art dar, wie schnell man zu dem werden kann, der man eigentlich nie werden wollte – zu jemandem, der die gleichen Fehler wie die Eltern macht.